4095 Meter und ich als Flachlandtiroler will da hoch – ein irrwitziges Vorhaben!
Karin hatte diese wunderbare Idee. Und wenn ich während des Weges auch geflucht habe: Es war eine unglaubliche Tour und ich bin heilfroh, dass wir sie zusammen gemacht zu haben!
Knappe zwei Stunden dauert die Fahrt von Kota Kinabalu, der Hauptstadt der malaysischen Region Sabah auf Borneo zum Mount Kinabalu. Wir saßen während der Fahrt müde und still im Bus. Die letzte Nacht war kurz, nach unserer Anreise hatten wir nur Dinner im „Seafood-Welcome“ um phantastischen Fisch zu essen und sind danach bald schlafen gegangen. Um 6 Uhr morgens stand der Fahrer vor der Tür und es ging endlich los.
Der Berg Kinabalu darf nur in Begleitung eines Bergführers bestiegen werden, unser stellte sich mit „I‘m Arnold“ vor. Ich habe gefragt, ob es wirklich sein richtiger Name sei, was er grinsend bejahte. Also dann, Arnold.
Pro Tag dürfen höchstens 130 Personen den Checkpoint passieren und auf den Berg hinauf. Der Anfangspunkt des Trails liegt auf 1.800 Meter Höhe, am Timophon Gate. Wir marschieren voller Motivation los und freuen uns auf eine schöne Wanderung. Nach einer kurzen Weile entdecken wir einen Wasserfall. Steil plätschert das Wasser hinab und ich denke ‚wie schön, so kann es weitergehen‘. Doch dann kann kommen die Stufen. Und die hören bis zum Ende nicht mehr auf! Durchschnittlich 30 cm hoch, mal schmale Holzstufen, dann Geröllsteine in unterschiedlichen Größen, auf denen ich mir den geeigneten Weg suche. An uns vorbei eilen die besser Trainierten und vor allem die Träger – schwer bepackt mit Lebensmitteln, Wasser und allem, was im Schlaflager auf 3.200 Meter gebraucht wird. Dieses Camp ist auch unser Ziel für den heutigen Tag bevor es morgen sehr früh, noch in der Nacht, zum Gipfel weitergehen soll.
Die Umgebung ist wunderschön, manchmal ist Vogelzwitschern zu hören, aber ich bin zu sehr auf meinen eigenen Weg konzentriert, um das richtig wahrzunehmen. Jeden der wenigen ebenen Abschnitte von gerade mal höchstens 10 Metern genieße ich dafür in vollen Zügen und überlege dabei, wie ich es bis ganz nach oben schaffen soll. Der gesamte Weg zum Ziel ist neun Kilometer lang, an Tag 1 müssen sechs davon gemeistert werden. Klingt gar nicht übel, doch mir war nicht klar, wie steil der Aufstieg ist. Da habe ich glücklicherweise auch noch nicht gewusst, was mich am nächsten Tag erwartet.
Alle paar hundert Meter sind Rasthütten errichtet und jede wird für eine kurze Pause benötigt. Hütte bedeutet eher Unterstand mit Toiletten. Wie die aussehen habe ich nicht erfahren, weil ich sie nicht gebraucht habe. Trotzdem nachschauen wäre reine Kraftverschwendung. Ein Müsliriegel, ein Schluck Wasser und schon kann ich wieder losmarschieren. Man wundert sich, wie schnell der Körper sich erholt. Gar kein Problem, den Rest schaffe ich locker. Aber dann kommen wieder Stufen. Ich verfluche diejenigen, die mir vorher erzählt haben, dass man den Kinabalu ohne Vorbereitung mühelos erklimmen kann. „Du siehst ganz sportlich aus, das machst Du schon. Turnschuhe an und los.“ Ich habe mich trotzdem vorbereitet, war regelmäßig joggen und bin in der Zeit zuvor wöchentlich mehrmals zu Fuß die Treppen in unseren 30. Stock hinaufgestiegen. Doch wenn mal wieder ein Träger mit mehreren Kilo Reis auf dem Rücken an Dir vorbeispaziert, kommst Du ins Grübeln.
Am frühen Nachmittag erreichen wir endlich das Tagesziel. Unsere Mitstreiter empfangen uns jubelnd auf dem Plateau vor dem Camp. Die können alle schon wieder feiern, wie gesagt, man regeneriert schnell. Das Panar Laban Resthouse besteht aus mehreren Hütten, in denen die Nachtlager zugewiesen werden. Das Zimmer teilen wir mit 14 anderen Bergsteigern. Männer und Frauen in einem Schlafsaal, das überrascht in einem muslimischen Land. Nach einem kurzen Powernap wird um 16:30 Uhr zum Abendessen gebeten. Wir sitzen mit ein paar netten Australiern an einem Tisch. Sie machen die Tour um Spenden für die Gehirntumor-Forschung zu sammeln und wollen danach Urlaub auf Bali machen. Nach dem Essen verkrümeln Karin und ich uns in unsere Etagenbetten und erklären den Tag um 18:30 Uhr für beendet.
Aufstieg im Dunkeln
Wieder eine kurze Nacht, die um 1:40 Uhr für uns vorbei ist, obwohl wir erst um 2 Uhr geweckt werden sollen. Solch eine Nacht im quietschenden Hochbett mit fremdem Schlafsack ist nicht für Erholungsschlaf geeignet. Im Waschraum gibt es nur vier Waschbecken, also kann man schon mal Zähneputzen bevor die anderen kommen und frühstücken.
Ein Scheibe Toast für den Magen, Stirnlampe an und auf in die nächste Etappe. Die Höhenluft macht mir nichts aus. Glück gehabt, da gibt es auch andere Geschichten. Nach 25 Minuten haben wir gerade 300 Meter der restlichen drei Kilometer Weg geschafft. Da kommt der erste Gedanke ans Aufgeben auf. Der Weg besteht wieder aus Stufen und diese hören erst auf, wenn die Vegetation nichts mehr zu bieten hat. Nun geht der Weg über Granitplatten. Die sind so steil, dass Seile zum Festhalten fest verspannt sind. Seit langem trage ich mal wieder Wollmütze und Handschuhe und bin sehr dankbar dafür. Es sind 2 Grad über Null und es weht ein starker Wind. Die Beine werden schwer und der Weg zum Ziel zieht sich. Krisensituation 900 Meter vor dem Gipfelkreuz. Die Kondition lässt nach, Schnappatmung setzt ein. Doch aufgeben? Bei dem Thema kommt unser malaysischer Arnold ins Spiel. Der Mann mit den Turnschuhen. Der Typ, der jede unserer Pausen für eine weitere Zigarette genutzt hat und in unseren 30 gemeinsamen Stunden ca. 80 Wörter gesprochen hat: „In 100 Metern kommt ein Rastplatz, danach sehen wir weiter.“ So hat er uns den Berg hinaufgetrieben. Immer noch ein Stückchen weiter.
Mittlerweile ist es hell geworden. Adrenalingeputschte Mitstreiter kommen uns freudestrahlend entgegen. Sie haben es geschafft und sind auf dem Rückweg. Darunter auch unsere australischen Freunde vom Vorabend. Das ist der Zeitpunkt, an dem es kein Zurück gibt. Kurz vor dem Ziel wird nicht schlapp gemacht. Kurz vor dem Ziel heißt aber auch noch mal richtig klettern. Wäre ich nicht so abgeschlafft, könnte der Spaß nun beginnen, denn auf Felsen herumzuklettern macht mir normalerweise richtig Spaß. Nun will ich es nur noch hinter mich bringen und ein Foto von mir ganz da oben haben. Ein Schritt, nächster Schritt, die Sonne lässt den Tag beginnen und wartet, dass ich mit ihr strahle. Sie meint es gut mit uns und lässt keine Regenwolken zu. Kurz vor dem „Fotopoint“ werden wir zur letzten Pause gezwungen: Wir sind nicht die einzigen auf dem Berg, Menschenstau vorm Gipfel.
Doch dann ist es so weit. Wir hocken auf dem höchsten Felsenstück vom Kinabalu neben dem Beweisschild: Wir haben es wirklich geschafft! Arnold macht Fotos und wir sind so was von happy auf dem Low‘s Peak Summit! Zwei Minuten Glücksgefühl und es beginnt der Abstieg, Neun Kilometer in Richtung nach unten liegen vor uns. Nun sehen wir erst, wo wir im Dunkeln entlang geklettert sind. Im Hellen kaum zu glauben. Jetzt zeigt sich auch, was das Erdbeben 2015 angerichtet hat. Große Felsbrocken umrunden wir, denn bei dem Beben sind ganze Berge zerstört worden. Davor war die Route eine andere, seit drei Jahren wird ein Umweg gegangen.
Im Zwischencamp wartet das Frühstück auf uns, mittlerweile ist es 8:30 Uhr. Eine Stunde Pause, in der wird gegessen, wir packen unsere Sachen zusammen und ab geht es weiter nach unten. Runter ist ja leichter als rauf? Absoluter Quatsch. Die Stufen sind nicht weniger geworden und der Körper ist müde. Der Kopf auch, zwei Nächte mit wenig Schlaf machen sich bemerkbar. Die Knie brechen weg, die Oberschenkel tun weh und meine Knöchel fragen klagend, warum ich keine Schuhe mit höherem Schaft zur Stütze trage. Nach drei Stunden möchte ich aufgeben, das geht aber blöderweise nicht auf dem Rückweg. Die Träger kommen uns mit neuen Lebensmitteln entgegen. Später werden sie uns auf ihrem Rückweg überholen. Der Rekord für die gesamte Strecke nach oben liegt bei 2:21 Stunden. Unvorstellbar!
Doch am Nachmittag ist es geschafft. Wir sehen das Timophon Tor, dem Ausgangspunkt unserer Route. Gemeinerweise müssen zum Schluss noch ein paar Stufen wieder heraufbestiegen werden. Karin ist auf dem Rückweg fitter als ich und schon vor mir oben. Sie zählt mich letzten 10 Stufen runter. 14:55 Uhr – das Abenteuer ist vorbei. Apathisch kaufe ich mir am Kiosk eine Cola. Eine richtige mit Zucker und Kalorien. Habe ich mir sowas von verdient!
Bin ich in diesem Moment glücklicher? Nein, nur froh, dass es vorbei ist. Aber keine Sorge, das Glücksgefühl kommt später, dann dafür richtig!
Ich habe in meinem Leben nie zuvor etwas so Anstrengendes gemacht und dieser Stolz auf mich selbst, der mich erst einen Tag später übereilte, hält bis heute an. Ich reiße mich zusammen, nicht jedem Fremden auf der Straße von dieser Challenge zu erzählen. Brauche ich auch nicht, denn wegen meiner merkwürdigen Gangart durch den Muskelkater spricht mich sowieso jeder an und fragt, was ich getan habe.